Erwachsene am Klavier - Einstiegsgründe und Übemotivation

Corinna Taufmann ist eine diplomierte Klavierlehrerin und leitet eine Klavierschule für Erwachsene in Woltersdorf, Brandenburg. Für unseren Tonkuenstlerblog hat sie einen Beitrag über ihre pädagogische Arbeit verfasst.

Erwachsene am Klavier
"Einstiegsgründe und Übemotivation"
von Corinna Taufmann

Das Thema "Üben" ist für alle Instrumentallehrer allgegenwärtig:
• Was hat mein Schüler geübt?
• Wie hat er geübt?
• Hat er es denn überhaupt getan?

Ich unterrichte Erwachsene. Damit umgehe ich die leidige Frage, ob jemand aus der Verwandtschaft für die Anmeldung des Kindes beim Klavierunterricht verantwortlich ist, oder ob es tatsächlich der eigene Wunsch ist. Bei einem erwachsenen Schüler kann man davon ausgehen, dass es mit Sicherheit ein lang gehegter Wunsch ist, das Klavierspiel zu erlernen, beziehungsweise nach längerer (oft jahrzehntelanger) Pause fortzuführen. Man könnte also annehmen, dass alle Schüler gut vorbereitet und enthusiastisch zum Unterricht erscheinen. Diese Art Schüler gibt es tatsächlich und es ist eine Freude zu hören, die Klavierstunde wäre das Highlight der Woche.
Aber die Motivation zum Üben ist so vielschichtig, dass es ein äußerst interessantes Thema für mich geworden ist.

Der Artikel von Dr. Barbara Roth in der Musikpädagogikzeitschrift "Üben und Musizieren" (Ausgabe 4/2020) war mir daher sehr willkommen.
Sie ist Musikwissenschaftlerin, eine der Autorinnen des Forums "Musikpädagogik", sowie des Buches „Die Bedeutung von Motivation und Willen für das Üben von Instrumenten“. Sie ist Musikpädagogin an der Schnittstelle zur Musikwissenschaft und jedes Semester an der Uni Köln in der Musikpädagogik mit dem Schwerpunkt Musikpsychologie tätig.
Mit Erlaubnis von Frau Dr. Roth nehme ich direkten Bezug auf ihr Buch.
Ich habe nun ihren Fragebogen "Zur Erfassung von Anreizen des Musizierens" an meine Schüler verteilt und sie gebeten, ihn auch unter dem Aspekt auszufüllen, sich selbst besser kennenzulernen. Ich habe sie um eine kurze Begründung gebeten, weshalb der Klavierunterricht überhaupt begonnen wurde.
Ich würde in diesem Artikel nur auf Letzteres eingehen, später dann die Auswertung des Fragebogens vornehmen.
 

Da meine Schüler zwischen 30 und 82 Jahre alt sind, fallen die nun folgenden Gründe für die Anmeldung recht unterschiedlich aus:

♪ Abstand bekommen vom Alltagsstress
♪ Lang gehegter Wunsch, der nicht erfüllt werden konnte, aufgrund von Zeitmangel, Familienplanung und Karriere
♪ Eintritt ins Rentenalter, mit dem Wunsch, sich einer neuen Herausforderung zu stellen
♪ Verbindung zur Klaviermusik, welche seit der Kindheit spürbar ist, aber von den Eltern nicht zur Kenntnis genommen wurde, bzw. es die Eltern nicht ermöglichen konnten
♪ Beschäftigung mit der Musik, um eine geistige Herausforderung zu haben und               einer Altersdemenz vorzubeugen
♪ Klavier war als Kind das eigentliche Wunschinstrument, es sollte allerdings ein anderes Instrument gelernt werden
♪ Ein Klavier stand plötzlich im Wohnzimmer und jeder Besucher fragte: "Wer spielt denn bei euch?". Das konnte auf Dauer nicht mit "Niemand" beantwortet werden
♪ Neid auf Menschen, welche die Möglichkeit hatten, das Klavierspiel zu erlernen
♪ Die Erkenntnis, dass man mit dem Klavier sehr vielseitig musizieren, sich sogar selbst begleiten kann und unterschiedliche Rhythmen in beiden Händen vorkommen
♪ Es gibt niemals schräge Töne, wie bei der Geige bspw... Die Intonation ist kein Problem.
♪ Das bewusste Musikhören und Erkennen der verschiedenen Musikrichtungen
♪ Interesse wurde geweckt durch die Kinder oder Enkel, denen man den Klavierunterricht ermöglicht, den man selber nie hatte nehmen dürfen
♪ Zur Selbstberuhigung, Balsam für die Seele
♪ Anderen durch das Vorspielen Freude zu schenken
♪ Umsteigen von einem anderen Instrument auf das Klavier
♪ Zeit zu haben. Nur für sich selbst
♪ Es hat etwas Meditatives (Anmerkung: Es ist in erster Linie Arbeit am Instrument. Eine durchaus erfüllende, aber eben Arbeit. Das wird erst später erkannt.)

Was natürlich alle meine erwachsenen Schüler eint, ist die Liebe zur Musik und zur Klaviermusik im Besonderen. Ich bin sehr froh, mich für das Unterrichten dieser hochmotivierten "Zielgruppe" entschieden zu haben.
Die bewusste Entscheidung und die bisher erlebten Dinge im Leben eines jeden Erwachsenen und das Empfinden von Glück, sich diesen Wunsch erfüllen zu können, macht sie mit Sicherheit zu glücklicheren Menschen. Und mich ebenso.


 

Corinna Taufmann